Der Zauberer von Oz

Nicht nur in Ray Bradburys "Der illustrierte Mann" ist der Autor L. Frank Baum einer der verbotenen Schriftsteller – auch im "richtigen Leben" stand sein Wizard of Oz auf der schwarzen Liste von Büchereien und Pädagogen. Von christlichen Fundamentalisten als Blasphemie ausgerufen, als kommunistisch gebrandmarkt, dann später von einer katholischen Institution doch als die christlichen Werte vermittelnd beurteilt (Kunst und Kultur fungieren doch manchmal wie ein Selbstbedienungsladen, jeder nimmt sich irgendwann mal was er gerade braucht). Von einigen Literaturkritikern als "schlecht geschrieben" betitelt, von Künstlern und Schriftstellern verehrt, und  – jetzt kommt das allerwichtigste – vom Publikum geliebt – ist das vor 112 Jahren erschienene Buch "The Wonderful Wizard of Oz" von L. Frank Baum.

Der Zauberer von Oz

Nun ist auf deutsch die Comicadaption "Der Zauberer von Oz" bei Panini (im Original bei Marvel) erschienen – und um es gleich vorweg zu nehmen – diese ist einfach zauberhaft geworden.

Und ganz im Gegensatz zum derzeitigen Trend, alte Klassiker neu in aufgebretzelter und manchmal überproduzierter Form herauszubringen, ist die vorliegende Comicadaption eher eine Rückkehr zu den Wurzeln der Geschichte, eine  vergleichsweise werkgetreue Umsetzung der Romanvorlage.

Das Mädchen Dorothy wird durch einen Sturm samt Hund und Haus in ein fernes "Zauberland" getragen. Hier macht sie sich auf den Weg in die Smaragdenstadt, der Hauptstadt des Landes. Dort regiert der mächtige Zauberer von Oz, der ihr zurück nach Hause helfen soll. Auf dem Weg dorthin lernt Dorothy neue Freunde kennen: die Vogelscheuche, der es an Verstand fehlt, den Eisernen Mann, der kein Herz hat und den Löwen, dem es an Mut fehlt. Die neuen Freunde begleiten Dorothy auf ihren Weg in der Hoffnung, vom Zauberer von Oz ihre sehnlichst vermissten Eigenschaften Verstand, Herz und Mut zu erhalten. Dabei müssen sie alle möglichen Gefahren und Hindernisse überwinden.

Einfach geschrieben ist der ursprüngliche Roman von Baum übrigens wirklich, was ihm damals die negative Kritik zeitgenössischer Literaturkritiker einbrachte. Aber das betrifft eigentlich nur die Formulierungen und den modernen, schnörkellosen Schreibstil. Die Geschichte ist dabei aber sehr intelligent und komplex konstruiert, und strotzt nur so vor Fabulierfreude. Und man könnte sagen, dass es ein wegweisendes Werk war. Gemeinhin wird beispielsweise der Ursprung der Fantasy als relativ junges Genre in "Conan" und "Herr der Ringe" gesehen. Genaugenommen nimmt aber Baum entscheidende Elemente des Genres schon viel früher vorweg. Beispielsweise schafft er mit dem Zauberland eine in sich geschlossene Welt, die nach außen hin auf den Leser magisch erscheint, in sich aber Gesetzmäßigkeiten und einer Logik folgt – eins der wichtigen Merkmale der Fantasy in Abgrenzung zum Märchen – ähnlich wie beispielsweise Alice im Wunderland. Auch der Umfang der Geschichte grenzt sich deutlich von Märchen ab. Man könnte bei "Der Zauberer von Oz" also von einer frühen Form der Fantasy sprechen.

Aber es kommt noch besser: Baum gelingt dann noch der Kniff, aus der Fantasy Welt wieder auszusteigen bzw. noch einen Realitätsbezug einzubetten (der manch anderer Fantasy gänzlich fehlt). Das funktioniert zum einen durch die Entlarvung des Zauberers von Oz, und durch die Aufteilung der Welt in Zauberland und Realwelt. Und das hat auch einen zutiefst aufklärerischen, und weisen Charakter. Baum erzählt uns hier, dass es nicht auf einen Zauberer (oder Gott) ankommt, sondern nur auf uns selbst. Hirn, Herz und Mut stecken schon in uns. Der Zauberer vollzieht an den Protagonisten lediglich eine Art Placebo-Zeremonie und verschwindet. Besonders im zeitlichen Kontext betrachtet, ist das natürlich starker Tobak, und auch heute noch wird damit mit solchen Behauptungen aus religiösen Kreisen auf Widerstand stoßen.

Ferner vertritt "Der Zauberer von Oz" auch einen Aspekt der Utopie. So ist das Zauberland ein magischer lebens- und liebenswerter Ort, an dem das Übel überwunden wird. Aber es geht noch weiter, und hier verlassen wir nun endgültig die Märchenwelt der Gebrüder Grimm & Co.: Dorothy will trotzdem wieder nach Hause – ins dreckige Kansas! Im Gegensatz zum höfischen Märchen, in dem die Heldinnen meistens Prinzessen sind oder spätestens zum Happy End in den aristokratischen Stand gehoben werden, ist Dorothy ein Mädchen vom Lande, von der Base, die auf Augenhöhe mit Herrschern, Zauberern und Hexen redet, die am liebsten nach Hause zu Ihrer Tante und ihrem Onkel möchte. Dorothy ist kein Untertan, sondern selbstbewusst. Damit verkörpert "Der Zauberer von Oz" – man traut es sich in Zeiten pauschalen Antiamerikanismus kaum zu sagen – im positiven Sinne mehr amerikanische, bürgerliche Bodenständigkeit als amerikanischen Traum.

Nun wird ja gerade viel darüber diskutiert, ob Adaptionen aus Literatur nun dem Comic ev. mehr Schaden als nützen. Ob man so etwas wirklich braucht, darüber kann man natürlich geteilter Meinung sein. Aber sind wir mal ehrlich: wie viele Comics nutzen denn das Medium wirklich 100%-ig aus? Comics sind heute oft sehr filmisch aufgebaut und wollen "nur" Inhalte und gute Geschichten vermitteln. Und das ist m.M. nach durchaus legitim.

In "Der Zauberer von Oz" gelingt zumindest die Adaption perfekt. Das liegt zum einen an dem analogem Artwork, welches wunderbar zu der klassischen alten Geschichte passt. Zum anderen gelang den Künstlern ein wirklich überzeugendes Charakterdesign der einzelnen Figuren, das zwischen Niedlichkeit und Skurrilität pendelt. Darüber hinaus gibt es sehr schöne Farben. Und schließlich ist die Adaption auch grafisch-sequentiell gut erzählt. Und auch wenn ich ein, zwei Punkte an der Übersetzung kritisieren könnte (für mein Sprachgefühl heißt es nun mal "Smaragdenstadt" und nicht "Smaragdstadt"), ist der Band meine Empfehlung. Vieleicht überflügelt die Comicadaption nicht die Romanvorlage, ebenbürtig ist sie ihr alle mal. Und wer den Roman aus der Kindheit kennt, freut sich vieleicht auf ein Wiedersehen mit Dorothy, der Vogelscheuche, dem Holzfäller und dem Löwen in einem neuen Format.

Der wahre Zauberer, das war Frank Baum.

Der Zauberer von Oz
von L. Frank Baum, Skottie Young und Eric Shanower
Panini (Marvel)
Hardcover, 212 Seiten in Farbe, 24,95 EUR