Hedy Lamarr

Hedwig Eva Maria Kiesler, Schönheitsikone, Schauspielerin und Erfinderin, hat während des Zweiten Weltkriegs eine Steuerung für Torpedos entwickelt, die eine höhere Trefferquote erzielen sollte, aber nicht zur Anwendung kam. Erst viel später wird die Idee als Basis für die heutige WLAN-Technologie aufgegriffen und genutzt. Die Graphic Novel erzählt ihre Geschichte beginnend mit ihrer Kindheit und Jugend in Österreich, über ihre spätere Kariere in Hollywood als Hedy Lamarr, bis hin zu ihrem Tod im Jahr 2000.

Hedy Lamarr, Cover der Graphic Novel

Ich hätte mir in dem Band noch mehr Einblick in die Technik erwünscht, ein paar mehr Seiten „Sendung mit der Maus“, wie genau das mit den Torpedos funktionieren sollte. In dem Punkt scheinen die Autoren wohl uns Lesern auch nicht so recht etwas zuzutrauen? Aber dies kann man ja woanders nochmal nachschlagen. Im Wesentlichen geht es in dem Comic um verpasste Chancen im Leben, um die Vor- und Nachteile von gut-aussehenden Frauen in der damals Männer-dominierten Medienwelt, um Überheblichkeit, ums Abgestempelt-Sein (einer Lamarrs frühen Filme zeigt den ersten weiblichen Orgasmus der Filmgeschichte, welcher das Image ihres restliches Lebens prägte), Doppelmoral und darüber, dass das alles selbst mir besten Grundvoraussetzungen nicht spurlos an einem vorübergeht. Auch wenn die ersten Seiten noch etwas bemüht wirken, entwickelt sich der Band zu einer interessanten und auch tragischen Geschichte. Sehr gut gemacht und lesenswert!

Ist das Thema Schnee von gestern? Wohl kaum. Die Weinsteins dieser Welt sind immer noch da. Aber es öffnet sich gerade eine weitere Front auf der genau gegenüberliegenden Seite. Da gibt es Kreise, für die es außerhalb der Vorstellungskraft liegt, dass gut aussehende Menschen auch ein emanzipiertes Leben führen oder womöglich sogar Feministen sind. Da gibt es große Diskussionen, selbst wenn fiktive (animierte) Figuren zu gut aussehen (siehe die aktuelle Debatte um das mit Sexappeal aufgeladene koreanische Computerspiel „Stellar Blade“). Und dann gibt es Uglyfication in Serien, Filmen und Spielen. Mir fällt da der Satz ein „It’s always the people with no magic, trying to tell you what to do with yours“. Am liebsten möchte man wohl noch Traumwelten regulieren. Bis zu einem entspannten Umgang mit der Thematik zwischen Übergriffigkeit und der neuen Spießigkeit ist es wohl noch ein weiter Weg.

Hedy Lamarr – Wienerin, Hollywoodstar, Erfinderin
von Sylvain Dorange und William Roy
Hardcover, 176 Seiten, koloriert
Bahoe Books, 28 EUR

Ergänzender Lesetipp: die Graphic Novel „Schönheit“ von Hubert und dem Künstlerteam Kerascoët beschäftigt sich in anderer Herangehensweise auf schwarzhumorige Art und Weise mit dem Thema. Erschienen bei Reprodukt.

Time before time

Zeitreisen sind paradox? Nicht zwangsläufig! Spätestens seit „Universal War One“ wissen wir, dass die Gegenwart die Summe aller Zeitreisen ist, die jemals gemacht wurden – und noch gemacht werden. Ich gebe es zu, ich sage diesen Satz einfach gerne … :)

Das heißt, wir können den Ablauf der Zeit selbst mit den richtigen Zeitmaschinen nicht verändern, oder Dinge ungeschehen machen. Aber hey – warum nicht Geschäfte machen? „Time before time“ erzählt in der Tonart des Crime-Noir die Geschichte von Tat, der für das Syndikat Menschen und Waren durch die Zeit schmuggelt. Das läuft alles andere als rund, und Tat möchte aussteigen, aber es ist natürlich nicht so einfach, und durch eine unfreiwillige Bekanntschaft mit einer FBI-Agentin eskaliert die ganze Sache, Tat gerät zwischen die Fronten von rivalisierenden Gangs aus unterschiedlichen Zeiten …

Time before time # 1 Hardcoverausgabe

„Time before time“ glänzt mit frischen Ideen im Genre, die in fantastischen Indie-Style-Artworks und visuell extrem gut durchdachten Sequenzen umgesetzt werden. Die Geschichte hat Tempo, spielt auf mehreren Zeitebenen und ist komplex, ohne dabei kompliziert zu sein. Und sie macht einfach richtig Spaß. Mindestens ein Kloß im Hals ist dank der guten Dramaturgie auch garantiert. Was uns dann doch wieder daran erinnert, dass das Leben kurz ist und wir doch so Dead-Poetes-Society mäßig besser die Gegenwart für unser Leben nutzen und den Augenblick genießen.

Der Auftakt der Serie ist gerade im Verlag Skinless Crow erschienen. Unverständlicherweise ist der Band sehr hart limitiert: von der Hardcovervariante gibt es 222 Exemplare. Okay. Aber von der Paperbackausgabe gibt es auch gerade einmal 444 Stück. Die Bände sind allerdings nicht nummeriert. Hoffentlich findet die Reihe auch hierzulande ihr Publikum, der erste Band ist eine echte Perle. Im Original gibt es fünf Bände. Die Softcoverausgabe ist übrigens sehr ordentlich produziert.

Ach ja: ob der Titel des Buches von Cyndi Laupers Song „Time after Time“ inspiriert wurde? Das wüsste ich auch gerne …


Falls Euch die Serie interessiert, wir können Euch die Bände frühzeitig vorbestellen, sodass ihr trotz der Limitierung keinen Band der Serie verpasst.

Time before time # 1
von Declan Shalvey, Rory McConville, Joe Palmer
Skinless Crow
135 Seiten, koloriert
19.90 EUR (Softcover) bzw. 29.90 EUR (Hardcover)

Der Ring des Nibelungen

Mit diesem Meisterwerk und Ziegelstein von einem Comic (rund 450 Seiten), der Comicadaption und Gesamtausgabe der berühmten Wagner Oper schließen wir unseren Weihnachtskalender. P. Craig Russell liefert hier ein Meisterwerk ab, welches vom Cross Cult Verlag in sehr schöner Aufmachung präsentiert wird.



Klar, das Buch ist mit 50 EUR nicht gerade geschenkt. Aber wie ein Kunde und begeisterter Leser des Comics mal sehr treffend zu mir sagte: günstiger als eine Karte für die Festspiele in Bayreuth. Schaut es euch einfach mal an, schlachtet das Sparschwein, nehmt einen Kredit auf, verkauft ein paar der weniger guten Comics!

Der Ring des Nibelungen, Hardcover, 448 Seiten in Farbe, Cross Cult, 49.99 EUR

Was für ein Comic, was für ein Jahr. Wir hoffen, dass ihr ein paar Tipps mitnehmen konntet, oder einfach etwas Spaß an unseren launigen Texten unseres Adventskalenders hattet. Falls ihr nicht aus Berlin seid: ihr könnt natürlich alle Comics auch bei uns per Mailorder bestellen.

An der Stelle möchte ich mich bei all unseren Kunden bedanken, die uns auch dieses Jahr wieder die Treue gehalten haben. Die auch mal Geduld hatten, wenn die Logistik etwas länger gedauert hat. Ich freue mich schon auf nächstes Jahr und die Fachsimpeleien im Laden. Schaut ruhig auch mal zwischen den Feiertagen hier vorbei, ich werde noch kurz zwei, drei meiner Lieblingscomics des Jahres vorstellen.

Wir wünschen euch allen ein friedliches Weihnachtsfest und erholsame Tage!

Head Lopper

Das Inselreich Bara. Auftritt Norgal, der Köpfer, Vollstrecker, Sohn des Minotauren. Hat keine Hörner (abgesehen von seinem Helm) und kein Stierantlitz, dafür sein getreues Schwert. Zudem Agatha Blauhexe im Handgepäck. Besser gesagt, ihren ständig plappernden und nach Fleisch gierenden Kopf.

Der Köpfer ist muskelbepackt, hat einen großen, weißen Bart, ist schnell, wendig und eben ein formidabler … Enthaupter! Auf Durchreise in Bara, wo andauernd Monster und andere Angreifer lauern, hat seine Klinge ziemlich viel zu tun.

Als Königin Abigail den Köpfer beauftragt, den Zauberer vom schwarzen Moor zu töten, um Bara von der Plage an Kreaturen zu befreien, ahnt Norgal nicht, dass im Hintergrund eine gefährliche Intrige gesponnen wird. Für die Strippenzieher stellt er bloß eine Spielfigur dar, die sie ihrem dunklen Ziel näher bringen soll. Und auch Agatha Blauhexe zieht Aufmerksamkeit auf sich …

Andrew Maclean nimmt uns mit auf einen rasant-epischen Abenteuertrip, der von Anfang bis Ende actionreich und unterhaltsam ist. In einer überzogenen Cartoon-Manier fliegen Köpfe, spritzen die Blutfontänen. Der Held ist einzig durch Agatha aus der Ruhe zu bringen, die ihn unentwegt volllabert. Übrigens sind die beiden keineswegs befreundet, ganz im Gegenteil!

Ob Norgal, die blaue Hexe, Mönche oder Bestien: die Figurengestaltung ist großartig, einfallsreich und mit viel Liebe zu Details und Farben zu Papier gebracht.

Auch die Perspektiven aus denen die Kämpfe und anderen Ereignisse dargestellt werden, bieten Abwechslung und bringen ein enormes, erzählerisches Tempo mit. Doch auch witzige Sprüche kommen nicht zu kurz.

Das Setting führt Norgal an verschiedene Orte von Baras. Allesamt sind spannend zu erkunden und bilden eine Welt, die Lust macht auf mehr. Zum Glück warten schon die Fortsetzungen auf alle, die mit dem Köpfer in Band Eins eine gute Zeit hatten!

Head Lopper, bisher 3 Bände (Band 4 folgt am 15.04.2024), je nach Band 22 bis 25 Eur,  erschienen bei Cross Cult

Eine Studie in Smaragdgrün

Neil Gaiman werden wahrscheinlich die meisten von euch kennen. Mit der Serie Sandman schuf er einen der Comicklassiker der 90er Jahre. Ich bin ehrlich: Gaiman ist ein großartiger Autor, nur mit der Auswahl seiner Zeichner bin ich oft nicht so ganz einverstanden. Beispielsweise befürchte ich, dass die Coverartworks von Dave Mckean (so 80er Jahre Kollagen) bei längerer Betrachtung zu Augenkrebs führen können. Und bei Bill Sienkiewicz muss ich immer an so unangenehme Kunstausstellungen denken, und bekomme direkt ein flaues Gefühl im Magen. Okay, Geschmackssache, viele meiner Freunde sehen es anders. Alles okay. Aber es GEHT auch anders!

Der kleine Dantes Verlag hat sich aufgemacht, und hebt einige bislang nicht gehobene Comicschätze. Neben der Reihe „Usagi Yojimbo“, die meiner Meinung nach für eines der drei besten Comicuniversen steht, erscheinen dort auch immer wieder schöne Einzelbände. Z.B. eben auch der Band „Eine Studie in Smaragdgrün“ in der Reihe der „Neil Gaiman Bibliothek“.

Smaragdgrün? Nicht Scharlachrot, wie einst bei Arthur Conan Doyle? Nein, aber natürlich ist das eine Anspielung auf die berühmte Sherlock Holmes Geschichte. Wobei Gaiman in der Erzählung sonst eher auf Understatement setzt. Namen fallen da keine, aber da ist dieser Typ, der in der Baker Street wohnt, und der einen Arzt als Freund hat …

Gaiman verbindet eine klassische Sherlock Holmes Geschichte mit einem übernatürlichen Element, wie es in einem Werk von H. P. Lovecraft vorkommen könnte. Viel mehr möchte ich zu der Handlung auch nicht verraten. Nur noch ein Hinweis: der Band enthält ein lesenswertes Nachwort, unbedingt lesen!

An der Stelle möchte ich kurz ein Wort zu H. P. Lovecraft verlieren. Die Veröffentlichung seiner Briefe haben dazu geführt, dass einige Leser ihn für einen Rassisten halten. Also zum einen denke ich, H.P.Lovecraft hat bis auf wenige Ausnahmen einfach alle Menschen gehasst, zum anderen sollte man immer auch Werk und Künstler voneinander trennen. Und man sollte sich mit moralischer Überheblichkeit ein wenig zurückhalten, und immer auch die Zeit im Blick haben, in der diese Werke entstanden. Kontext. Lovecraft mag in der Hinsicht ein Arschloch gewesen sein, aber er hat auch ein Subgenre der Horrorliteratur praktisch erfunden, und seine Werke haben Vorbildwirkung bis in die heutige Zeit.

Um den Bogen kurz zurück zum Beginn dieses Artikels spannen: Neil Gaimans Teamup mit Rafael Albuquerque und Dave Stewart führt nicht nur erzählerisch, sondern auch visuell zu einem wirklich tollen Comic. Eine echte Perle!

Eine Studie in Smaragdgrün, Hardcover, Dantes Verlag 92 Seiten in Farbe, 22.00 Eur

Kaleidoskop

Du bist absichtlich vom Wege abgekommen. Um dich herum Fichten und Kiefern, Eichen, Kastanien, Haseln. Große, rostrote Ameisen am Boden. Weichst den Nesseln aus, den Kletten. Hebst kleine und größere Steine hoch oder auch Hölzer und Borken die am Boden liegen. Darunter huschen aufgeschreckt Asseln und Tausendfüßer davon, ein Ohrenkneifer flieht in ein kleines Loch. Es hallt das Stochern eines Spechtes zu dir rüber. Die dünnen Stämme knarren im Wind wie alte Türen. Dich überkommt ein wohliger Schauer. Ein Eichhörnchen beobachtet dich dabei, wie du es beobachtest. Entfernt im Dickicht bewegt sich etwas. Nur in deinem Augenwinkel – was war es? Ein Wildschwein vielleicht oder ein Troll? Stille. Du streichelst weiches Moos. Auf einem umgefallenen Baum wachsen Pilze, in der Nähe pickt ein Rotkehlchen im Stamm nach Larven.

So oder so ähnlich können Waldspaziergänge sein, wenn man genau hinsieht, lauscht und genießt.

Ein ähnliches Gefühl erzeugt Kaleidoskop von Moki. Dieser Sammelband beinhaltet kurze Comics der Künstlerin von 2006 bis 2023. Darin begegnen wir vielen unterschiedlichen witzigen, schönen, traurigen und auch mysteriösen Wesen. Traumwandlerisch begleiten wir sie in ihrem Tun, in fantastische Welten (auch mal Berlin-Kreuzberg!) atmosphärisch und wundervoll gemalt. Zum immer wieder Besuchen, Träumen und sich Sehnen.

Kaleidoskop, 192 Seiten, erschienen bei Reprodukt, 29,00 Eur

Die Lesereise

Der Autor G.H. Fretwell wird mit seinem neuen Roman auf Lesereise geschickt. Aber an keinem der Veranstaltungsorte will auch nur eine einzige Buchsignierung gelingen. Das Personal zeigt sich darüber sehr verwundert. Fretwell bleibt noch bescheiden und hoffnungsvoll. Doch nach und nach werden die Enttäuschungen und Wirrungen immer mehr und dann geschieht auch noch ein Unglück, woraufhin Fretwell in Bedrängnis gerät.

Ruhig erzählt der Brite Andi Watson in wunderbaren, schwarz – weißen, schraffierten, fast skizzierten Bildern eine Geschichte mit ausgesprochen merkwürdigen, kauzigen Charakteren, die nicht selten aneinander vorbeireden, was teilweise beängstigende Formen annimmt. Die Figuren sind minimalistisch gehalten, aber gleichzeitig ausdrucksstark und witzig gezeichnet. Meisterhaft.

Wer passiv-aggressive Tendenzen hegt, könnte bei dem Verhalten der Leute, auf die der Protagonist trifft, mindestens ein nervöses Augenlidzucken bekommen. Umso besser, dass wir hier nur beobachten und nicht in seiner Haut stecken. Die Geschichte öfter zu lesen und zu schauen, was einem entgangen ist, bietet sich an.

Das Buch wurde von der Jury des Tagesspiegels zum „Comic des Jahres 2022“ erwählt.

Die Lesereise 268 Seiten, von Andi Watson, erschienen im Schaltzeit Verlag, 25.00 Eur

The Me You Love in the Dark

Sie sind kreativ tätig aber Ihnen fehlt es an Ideen? Sie suchen einen Tapetenwechsel, um Neues zu schaffen? Nicht schlimm, wenn es dabei spukt? Dann suchen Sie sich doch eine gruselige Immobilie, so wie Ro Meadows. Aber Vorsicht vorm Stockholm-Syndrom …

In dem Comic von Autor Skottie Young und Zeichner Jorge Corona (sparen Sie sich Ihre Witzeleien, er war vor dem Hype da) sucht Malerin Ro Inspiration für ihre nächste Ausstellung und beschließt, sich in einem alten, leerstehenden Haus mit fragwürdiger Reputation zurückzuziehen. Nur sie, viel Wein und ihre Schallplatten. Und dann, eines Tages … eine unerwartete Muse, die alles ändert.

„The Me You Love in the Dark“ ist nicht nur eine Suche nach einem Motiv um die blanke Leinwand zu füllen, sondern erzählt auch von einer Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit, selbst auf ungewöhnlichste Weise. Beides kann von freudiger Ekstase jedoch zu einem Alptraum werden.

Jorge Coronas Zeichnungen und die Farbgebung von Jean-Francois Beaulieu bringen in ihrer Ausdrucksstärke Skottie Youngs Erzählung selbst schon malerisch zu Papier. Der emotionale Sog, in dem Ro sich letztlich wiederfindet, hin- und hergerissen zwischen dem vermeintlichen Versprechen von Erfüllung und einer gefährlichen, grauenhaften Ebene sorgt für Gänsehaut. Leseempfehlung für regnerisch kalte Nächte, nur bei Kerzenlicht, idealerweise in einem knarzenden Haus beobachtet, von wer weiß was.

The Me You Love in the Dark, Splitter, 128 Seiten, 24.00 Eur

Eine Reise unter die Erde – Die Geheimnisse der Welt unter uns

Als bekannt wird, dass Hades, der Herr der Unterwelt, jemanden zur Nachfolge sucht, finden sich sehr viele Interessierte. Mit einem simplen Bewerbungsgespräch ist dieser Nischenjob aber nicht zu bekommen. Stattdessen erwartet die Menge eine Mischung aus „Es war einmal … das Leben“ und „Battle Royal“ (oder „Die Tribute von Panem“, oder auch „Squid Game“, je nach Generation, die das hier liest).

Es wird ein lehrreicher Streifzug durch die Schichten des Erdreichs und ein todbringendes Ausschlussverfahren für die, die bei den Fragen, die dazu gestellt werden, nicht richtig liegen. Begleitet wird bei diesem Assessment-Center die mutige, 16-jährige Suzanne, die dort Tom kennenlernt, der sich durch seine Phobie quasi allem gegenüber sehr schwertut, den Aufgaben zu begegnen. Doch gemeinsam kommen sie voran.

Während im (aber auch vorm) Comic alle Beteiligten von Schluff, Bakterien oder Nematoden erfahren, lernen die Figuren sich auch gegenseitig kennen und ihre Motivation, bei dem Spektakel mitzumachen. Nicht zuletzt wird aufgezeigt, was schiefläuft im Umgang mit dem Erdboden, was falsche Bewirtschaftung und andere menschengemachte Einflüsse verursachen, aber auch, was besser gemacht werden kann. Vielleicht gelingt es sogar, Hades das ein oder andere Schnippchen zu schlagen.

Zeichner und Autor Mathieu Burniat bringt der restlichen Menschheit unter Beratung von Biologe Marc-André Selosse nahe, wie faszinierend, vielfältig und ungeheuer clever die Lebewesen und Mikroorganismen des Erdreichs agieren und aufeinander einwirken. Dies gelingt Burniat alles andere als staubtrocken, sondern ausgesprochen humorvoll, einfallsreich, vollgestopft mit Funfacts und Drama. Wer kommt in die nächste Runde? Wer scheidet aus und somit dahin? Wer wächst über die eigenen Hemmungen hinaus?

Die Illustrationen sind voller kreativer Ideen, was die Darstellung des Erdreichs und dessen Bevölkerung anbelangt, Details, die neben dem vielen Wissenswerten zum mehrmaligen Erkunden einladen und Charaktere, die mitreißend sind in ihrem Wesen und ihrer Entwicklung. Sie sind schwungvoll, lebendig und ihre Mimik – diese Emotionen in ihren Gesichtern, fantastisch!

Eine Reise unter die Erde, erschienen bei Knesebeck, 176 Seiten, 24 Eur

Weitere Comics von Mathieu Burniat : „Das Geheimnis der
Quantenwelt“, „Das Geheimnis des unfehlbaren Gedächtnisses“

Merci

Sich missverstanden oder gar nicht erst wahrgenommen fühlen sich wohl viele junge Leute. Merci Zylberajch und ihre Freundinnen lassen ihren Frust darüber in Form von ein wenig Vandalismus hier und da raus. Als eine ihrer Aktionen auffliegt, besteht Merci strikt darauf, Einzeltäterin gewesen zu sein und bekommt aufgrund ihrer beinahe 16 Jahren Sozialstunden aufgebrummt.

Um diese zu absolvieren, landet sie am in ihrer Wahrnehmung langweiligsten Ort überhaupt: im Rathaus beim Gemeinderat. Mit Politik hat sie nichts am Hut, diese ändere ja doch nichts, weshalb sie auch nicht wählen gehen würde, auch wenn sie dann könnte. Nun diskutiert sie mit den Mitgliedern, für welches Projekt sie das ihr zur Verfügung gestellte Budget aufwenden könnte. Mit dem Ergebnis haben die Erwachsenen, welche Merci als zynische Emo-Teenagerin kennen und kennenlernen, so gar nicht gerechnet.

Autor Zidrou (das ist Benoît Drousie) fasst die Ansichten und die Hoffnungslosigkeit der Jugend authentisch in Worte, begleitet von einer Schar spezieller Nebenfiguren. Seien es ABBA-begeisterte Eltern, der Gemeinderat, wo alle mehr am Jammern als am Lösungen finden sind oder der Jugendrichter aus Burkina Faso, der sich nach dem Vorfall mit Mercis Gemurre konfrontiert sieht. Es spielt sich eine richtig französische Dramödie ab, festgehalten in den gekonnten Zeichnungen Arno Monins. Großzügige Bilder machen das kleine Kaff und dessen Bevölkerung lebendig, ein Gefühl von Sommer kommt auf.

Von Zidrou könnt ihr bei uns im Laden auch noch folgende Bücher finden: Die Adoption, Die Bestie, Das unabwendbare Altern der Gefühle, Percy Pickwick, Die neuen Fälle von Rick Master, Shi, Spirou und Fantasio, Wundervolle Sommer, Dein Verbrechen
Auch von Arno Monin: Die Adoption 1+2

Merci, 64 Seiten, € 16,99, erschienen bei Panini Comics

Der Weltraumpostbote

In „Der Weltraumpostbote“ zeigt der kanadische Comiczeichner Guillaume Perrault, dass Veränderungen durchaus bereichernd sein können, dass es sich lohnt, von der eingefahrenen Route abzuweichen, die Komfortzone zu verlassen.

Bob, der im All Post ausliefert, lernt auf seiner neuen Route allerlei verschrobene Charaktere kennen. In wundervoll detaillierten, zugleich minimalistisch – aufgeräumten, aber nie langweiligen Bildern aus fantasievollen Formen und unaufgeregten, flächigen Farben, erzählt Perrault eine verrückt – witzige Geschichte mit einem sympathischen Helden und einer universellen Botschaft.

Oder kurz gesagt: eine stilistisch einzigartige All-Age-Science-Fiction mit philosophischer Ebene!

Inzwischen hat sich „Der Weltraumpostbote“ zu einer kleinen Reihe entwickelt. Drei Bände sind bislang erschienen, die aber auch jeweils einzeln sehr gut gelesen werden können. Schaut mal rein, wir sind Fans!

Weitere Informationen; Klappentexte zu allen drei Bänden und Leseproben findet ihr auf der Website des Verlages:

https://www.rotopolpress.de/produkte/der-weltraumpostbote

Erschienen im Rotopol Verlag,
Der Weltraumpostbote
Der Weltraumpostbote – Motorräuber
Der Weltraumpostbote – Hungrig durchs Weltall
Hardcover, in Farbe, je 18 Euro

Der Mitternachtsgarten

„Was ich dir versuche zu erklären, ist, dass es keine Beweise für Theorien über Zeit gibt. Man kann nichts beweisen!“ Tom aber lächelt nur wissend, denn er hat mehr gesehen, als sein Onkel ahnen könnte …
Als sein Bruder in den Ferien die Masern bekommt, wird Tom kurzerhand in Quarantäne bei seiner Tante und seinem Onkel einquartiert, die mit der alten Mrs.  Bartholomew in deren Haus wohnen. Hier strotzt es nur so vor Langeweile bis Tom auffällt, dass die alte Standuhr im Flur dreizehnmal geschlagen hat. Und er kurz darauf im eigentlich tristen Hof statt diesem einen riesigen Garten vorfindet … und eine rätselhafte Begegnung macht.
Der Mitternachtsgarten, frei nach dem Roman von Phillipa Pearce, ist Poesie. Eine dichte, zauberhaft – mysteriöse Geschichte, die perfekt geeignet ist, sich bei Herbst- und Winterwetter auf der Couch gemütlich zu machen.

Der Mitternachtsgarten

Dynamisch wuchernd erweckt Edith (Edith Grattery) mit ihren Linien und Farben den Garten zum Leben und Toms Gedanken zu alldem werden uns in Briefen dargelegt, die er seinem Bruder schreibt. Obwohl es im Garten immer hell ist und er einen friedlichen Eindruck macht, wird nach und nach etwas Melancholisches darin sichtbar.

Wer sich nach dieser Lektüre keine Standuhr wünscht und auf dreizehn Schläge und einen wunderbaren Garten im Hof hofft, kann nur Angst vor Pollenflug haben.

Der Mitternachtsgarten, 104 Seiten ist erschienen bei Toonfish und kostet 19,95 Euro.

Außerdem von der Künstlerin bei uns zu haben: „Die Sturmhöhe“ (Splitter Verlag)

Nami und das Meer

Salut und Konichiwa!

In ihrem Comicalbum „Nami und das Meer“ findet sich die französische Autorin und Zeichnerin Catherine Meurisse in Japan wieder.

Nami und das Meer - Cover

In einer mystisch – märchenhaften Geschichte plant sie dort die Natur zu malen. Dabei „Überschreiten wir die Grenzen zwischen der profanen Welt und der der Geister“.
Neben einem japanischen Maler, dem es nicht gelingen will, eine Frau auf Papier zu verewigen, begegnet die Zeichnerin auch Nami, zu der die Natur spricht. Abgerundet wird ihr Trip durch Gespräche mit einem Tanuki, einem Fabelwesen wie aus dem Studio Ghibli Anime „Pom Poko“, wie dieser anzumerken weiß.

Humorvoll und schräg, dramatisch und romantisch, mit sympathischen Figuren und wunderbaren Hintergründen erfahren wir von Japans Kunst und Kultur. Und von der Natur, die uns „gelegentlich daran erinnert, dass sie zuerst da war“ …
Interessant ist dabei, dass Meurisse mit zwei verschiedenen Zeichenstilen arbeitet: einen eher naturalistischen, präzisen Stil für die Hintergründe, Naturdarstellungen und Gebäude, während die Figuren eher überzeichnet und „cartoonig“ wirken.

Merci und Domi Arigato für dieses Buch, Catherine Meurisse.

Weiter Werke der ehemaligen Charlie Hebdo Cartoonistin, die ihr in unserem Laden entdecken könntet, sind „Weites Land“ und „Die Leichtigkeit“.

Nami und das Meer, gebundene Ausgabe, Carlsen Verlag, 128 Seiten, farbig, Euro 22,-

Shunas Reise

Shunas Reise

Ein Buch, wie ein Kurzfilm von Studio Ghibli.

Hayao Miyazaki erzählt in prachtvollen, großen, gemäldehaften Aquarell – Illustrationen als Leinwand für einen Text, der nur wenige Male in Sprechblasen anzutreffen ist, eine kraftvolle Geschichte, wie in späterer Studio Ghibli – typischer Manier.

Und zwar von dem jungen Prinzen Shuna, der in einem kargen Dorf zu Hause ist, gelegen in einer Schlucht, die nicht mehr mitbringt, als das, was gerade so zum Überleben reicht. Er bricht auf, um die Umstände seiner Mitmenschen zu verbessern, als er von einem Fremden die Legende des goldenen Korns erfährt. Irgendwo, bei Wesen, den Menschen erhaben, soll es zu finden sein. Bewaffnet und mit seinem Reittier beginnt für Shuna ein Abenteuer.

Ihm begegnen Wunder, aber auch Missstände, Hoffnung und Leid. Mystisch geht es zu und das Miteinander und aufeinander Einwirken zwischen der Natur und den Menschen ist wie in den Anime des Studio Ghibli von großer Bedeutung.

Hayao Miyazaki zeichnete, malte und schrieb eine epische Geschichte im Kleinen.

In Japan bereits 1983 erschienen, liegt jetzt mit Shunas Reise ein Frühwerk des Meisters nun auch auf Deutsch vor.

Shunas Reise, 160 Seiten, erschienen bei Reprodukt, € 20,00

Madame Choi und die Monster

Die Graphic Novel „Madame Choi und die Monster“ erzählt so absurd wie dramatisch eine wahre, filmhistorische und politische Geschichte aus Korea.

Mme Choi

In Südkorea ist Choi Eun-hee, Madame Choi genannt, eine beliebte Schauspielerin. Als sie den noch unbekannten Regisseur Shin Sang-ok kennenlernt, entspinnt sich eine kreative und bald auch romantische Beziehung, der viele erfolgreiche Spielfilme folgen.

Im Jahr 1978 wird Madame Choi nach Nordkorea entführt, wo man ihr, nachdem sie einige Jahre mit Indoktrinationsversuchen durchlebt hat, plötzlich den ebenfalls entführten Shin Sang-ok präsentiert. Den beiden wird vom Sohn des Machthabers persönlich verkündet, dass sie für ihn Spielfilme drehen werden, die die große Macht des Landes widerspiegeln sollen.

Sheree Domingo und Patrick Spät bringen eine Biografie zu Papier, die wohl den wenigsten bekannt sein dürfte, da sie sich so weit weg von Hollywood abspielte. Auch wenn sich hier zwei kreative Seelen zusammentun und gezwungen werden, Filme mit propagandistischen Inhalten zu erschaffen, ist nicht ohne Grund Madame Choi die Titelgeberin, wer die Monster sind, dürfte dann auch schnell klar werden.

Sheree Domingo malt kalligrafisch ausdrucksstark, aber aufs wesentliche konzentriert zugleich, die Kargheit im Inneren der Madame Choi und um sie herum, den Protz des Machthabers und den wahrhaftig fulminanten letzten Akt, der selbst wie aus einem Film scheint. Wenn dann der Abspann kommt, will man unbedingt jemanden von dieser Geschichte erzählen. Hinzu kommt die filmreife Aufmachung des Buches, so ließe sich das Cover lösen und als Plakat aufgehängt die beiden Kreativen ehren.

Madame Choi und die Monster, 176 Seiten, € 24,- ist erschienen bei Edition Moderne