Eine nautische Fabel

Vor kurzem habe ich "Eine nautische Fabel" gelesen. Ich will nicht behaupten, dass ich die Geschichte zu Einhundert Prozent verstanden habe (…noch nicht…), aber das ist schon ein äußerst abgefahrenes Buch.

Eine nautische Fabel Graphic Novel

Ein Frau besucht Ihren Hasen auf dem Tierfriedhof, statt Blumen hat sie eine Mohrrübe dabei, als sie erfährt, dass an der Stelle des Friedhofs ein Schwimmbad errichtet werden soll. Zeitsprung. Wir befinden uns in einem riesigen Badeparadies mit mehreren Schwimmbecken, vernesteten Bereichen und üppiger Bepflanzung. Bevölkert wird die Anlage von äußerst skurrilen Charakteren. Zum Ärger des Bademeisters besucht die inzwischen alte Frau immer eines der Schwimmbecken, und wirft eine Möhre hinein…
An einer anderen Stelle befindet sich ein sehr tiefes Becken, eine Art Schacht. Am Grund des Bodens soll ein geheimnisvoller Schlüssel liegen. Doch nicht jeder, der nach dem Schlüssel taucht, schafft es gesund und munter wieder an die Oberfläche. Bis sich eine der Besucherinnen des Badecenters fragt, wie man die Einrichtung namens Nautiland eigentlich verlassen kann. Aber niemand kennt die Antwort oder erinnert sich daran. Nur die Jacuzzi-Nymphetten, drei Damen unschätzbaren Alters, die immer in einem Minibecken wie auf einem Tron sitzen und eine unergründliche Machtposition inne haben, versprechen eine Antwort auf die Frage…
Als Leser tauchen wir immer tiefer in die Geschichte ein und begeben uns ebenso wie die Protagonisten auf die Suche nach dem Schlüssel, nach der Aufösung der Geschichte. Die Metaphern sind dabei aber nicht immer eindeutig, und so lässt die Geschichte einigen Spielraum für eigene Interpretationen.

Stilistisch hätte ich das Buch eher bei Reprodukt als bei Carlsen erwartet, die Zeichnungen liegen in der Nähe "alternativer" Comics. Wer etwas für grafische New Weird-Literatur, und Bücher wie Koma und Wandering Ghost (Reprodukt) oder auch Trommelfels (Avant-Verlag) übrig hat, sollte da unbedingt mal rein sehen. Mitunter ist die Geschichte aber auch sehr komisch, was auch auch an den überzogenen Zeichnungen liegt. Die Anatomie der Figuren ist extrem flexibel – wie man es aus Cartoon-Filmen oder auch aus Comics von Christophe Blain kennt. Besonders verrückt wird dies, wenn Figuren in der gewählten und gezeichneten Perspektive plötzlich viel zu lange Arme oder Beine haben. Manchmal wirkt das realitätsverzerrend, wie ein Blick durch eine Linse – oder eben unter Wasser – hier folgt die Form gewissermassen dem Inhalt. Das ist die Kunst der Übertreibung, wie man sie bei guten Karrikaturen findet. Überhaupt nimmt sich die Zeichnerin Marine Blandin für einige eigentlich nebensächliche Szenen viel Zeit, mal über einige Panels, dann auch mal über ein paar Seiten. Man spürt die Freude, die Erzählwut, und die Lust am sequentiellen Arbeiten, die Blandin beim Zeichnerin gehabt haben muß. Das ist herrlicher Selbstzweck und Comicmedium pur, von dem sich so mancher gefeierter Themencomic / Graphic Novel eine Scheibe abschneiden könnte. Ich würde es dehalb auch jedem angehenden Zeichner als Referenz ans Herz legen. Es ist beispielhaft für gutes grafisches Erzählen. Ein tolles, amüsantes und manchmal irritierendes Buch!

Leseprobe

PS: In der Leseprobe kommen die Farben übrigens recht grell rüber, im Buch sieht das auf dem schönen, stumpfen Papier nochmal deutlich gedeckter und besser aus.

Eine nautische Fabel
von Marine Blandin
Carlsen
Hardcover, 142 Seiten, in Farbe, 17.90 EUR

Mehr von der Autorin gibt es hier: marine-blandin.over-blog.fr