Unvergessene Erzählung

Mit "Sherlock Holmes" hat Sir Arthur Conan Doyle einen der größten Mythen der letzten 100 Jahre geschaffen. Bis hin zu Steampunkvarianten und der m.M. extrem guten BBC-Adaption, die die Detektiv-Geschichten in die moderne Zeit gehoben haben, ist das Thema Holmes einfach nicht totzukriegen. Auch im Medium Comic gibt es da mit "Holmes" (Jacoby & Stuart) oder "Baker Street" (Piredda) unterschiedlichste Adaptionen und Interpretationen.

Nicht ganz so bekannt ist Doyles 1912 geschriebenes Werk Vergessene Welt aus der "Professor Challenger"-Trilogie, die als hervorragend recherchiert gilt (natürlich mit Ausnahme des Fiction-Elements). Zwar ist die Romanvorlage mehrfach verfilmt worden (meistens wurde jedoch nur die Grundidee aufgegriffen), größeren Bekanntheitsgrad hat die Idee aber wohl eher mit der offenkundig von diesem Roman inspirierten Umsetzung von Michael Crichton mit Jurassic Park erlangt, dessen zweiter Teil praktisch als Referenz auch den Untertitel "Vergessene Welt" (Lost World) trägt. Nebenbei empfehle ich bei Crichton immer die Bücher, keine der mir bekannten Verfilmungen seiner Bücher erreicht annähernd die Vorlage.

Vergessene Welt Comic

Nun ist gerade der Auftakt zu einer Comicreihe erschienen, die sich vorgenommen hat Doyles Roman Vergessene Welt zu adaptieren. Anders als bei Crichton, der noch aktuelle Themen wie Gen- und Clone-Technologie, sowie die Chaostheorie in seine Bücher einfliessen ließ, geht es hier eher klassisch zu Sache.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts macht sich Professor Challenger auf den Weg nach Südamerika. Dort soll es ein nicht kartographiertes Hochland geben, welches von hohen Felswänden eingeschlossen und damit vom Rest der Welt isoliert ist. Durch die Isolation von der Außenwelt sollen dort längst als ausgestorben geltende Lebensformen (zB. Dinosaurier) leben. Challengers Theorien sind in Gelehrtenkreisen umstritten, und er fordert bei einer Vorlesung den konservativen Wissenschaftler Professor Summerlee heraus, der ihn darauf auf der Expedition begleitet. Mit von der Partie sind noch der Reporter Ned Malone und der Großwildjäger Boxton. Später stößt noch der Südamerikaner Pablo dazu. Gemeinsam dringt die Gruppe auf einer gefährlichen Reise bis in das unentdeckte Land vor. Soviel sei verraten: da dies der erste Teil der Geschichte ist, kann man Dinosaurier erst auf den letzten Seiten des Comicalbums sehen. Dazwischen gibt es aber wunderbare Bilder zB. des Amazonasgebietes und der Hochebene. Der präzise und klassische Strich des Zeichnerteams Faina und Salvatori ist wie für die Erzählung gemacht.

Vergessene Welt Comic Beispiel

Man darf bei diesem Buch keine besonders unkonventionelle Story erwarten. Die Geschichte ist in den Grundzügen bekannt, einzelne Elemente der Storyline wurden auch in vielen anderen  Abenteuer-, Science Fiction- oder Fantasywerken verwendet (um nicht zu sagen verwurstet). Aus heutiger Sicht mutet die Grundidee natürlich auch etwas naiv an. Heute haben wir Satelliten, die Welt ist vermessen, und vermeintlich wissen wir alles. Unser Planet ist nicht mehr so groß wie früher. Unberührte Landstriche mit riesigen Kreaturen – was für ein Blödsinn, werden da die Smartasses rufen!

Vergessene Welt Comic Beispiel

Trotzdem setzt der Comic charmant auf die Sichtweise des beginnenden 20. Jahrhunderts – back to the roots. Neben den oben erwähnten tollen Zeichnungen sorgt dafür Autor Bec. Bec steht eigentlich durchaus für experimentelle, manchmal sogar sperrige Comics (Prometheus, Heiligtum, Bunker, Absolute Zero, alle bei Splitter), oder das ebenso grandiose wie traurige Horrordrama "Pandämonium" (ECC).  Die Vergessene Welt fällt dagegen geradezu zugänglich aus. Bec hat dabei aber viel richtig gemacht. ZB. reden und agieren die Personen so, wie es für die Zeit der Handlung plausibel und nachvollziehbar ist. Die Protagonisten sind nicht zu cool, die Professoren und der Jäger sind selbstverliebte Briten, der junge Reporter ist eher von einer gewissen Naivität geprägt. Der Jäger ist kein Proll, sondern ein schnöseliger Aristrokat, der verschreckte Indios lieber erschiesst, als sie gehen zu lassen. Humanismus und Forscherdrang kommen ebenso zum Ausdruck, wie die Arroganz des weißen Mannes. Die Akteure sind eben keine grünen Ökoaktivisten, und sagen auch nicht "Alter" zueinander, sondern sind Personen der Zeit. Es ist nur konsequent, dass Bec den Protagonisten keine emanzipierten weiblichen Figuren an die Seite stellt, wie es in verschiedenen anderen Adaptionen getan wurde. Damit bewahrt sich diese Adaption ihre Authentizität und unterscheidet sich grundlegend von anderen Werken des Genres wie zB. "Jurassic Park" (auch wenn Crichton hier eine gar nicht mal so abwegige Idee mit den geklonten Sauriern hatte), oder wie der zurecht nach der ersten Staffel abgesetzten Serie "Terra Nova", wo mittels Zeitreisen der moderne Homo Sapiens auf den guten alten Tyrannosaurus Rex traf. Bec verzichtet dabei auch auf Wendungen innerhalb der Geschichte und erzählt von zwei kleinen Rückblenden abgesehen klassisch linear.

Die vergessene Welt, die hier beleuchtet wird ist nicht nur das isolierte ökosystem mit den Sauriern, sie ist hier auch eine Metapher für die große, klassische Abenteuerliteratur, und deren Zeitgeist.

Vorlage, Zeichenstil und Erzählweise gehen hier in diesem Werk wunderbar zusammen, und wenn es gut gemacht ist darf man m.E. auch ein schon mehrfach adaptiertes Werk nochmal umsetzen. Wie werkgetreu die Umsetzung sein wird, ist übrigens bislang noch nicht absehbar. Der erste Band erzählt erstmal die Reise in die entlegene Welt. Laut einem Vermerk im Buch wird es wohl eher eine freie Umsetzung. Man darf auf den zweiten Band gespannt sein.


Vergessene Welt
Splitter
von Bec, Faina, Salvatori
Hardcover, 14.80 EUR, 56 Seiten, in Farbe

 

Anm.: Diesen Text habe ich für das Online-Magazin Serien.Ninja geschrieben, dieser ist dort bereits in ähnlicher Fassung erschienen.